Eine kurze, schöne Einführung von Heiko Jörn, Leer
"Was darf die Satire?", fragt Kurt Tucholsky 1919 und antwortet kurz: "Alles!"
Das Medium der Satire ist die Kunst.
"Was darf die Kunst?", fragen wir heute.
"Alles!", ist die Antwort, denn sie hat Narrenfreiheit.
Nun wissen wir, was ein freier Künstler ist.
Xaver Mayer betreibt diese Freiheit seit 1985. Vorher hat er das gelernt, was auf den folgenden Seiten zu sehen ist, und davor in der Schule hat er alles gezeichnet, was er lernen sollte.
Er wurde so gescheit, daß er Kunst und sogar Deutsch studieren konnte und die Aussicht hatte, ein Lehramt zu bekleiden.
Nun wissen wir, warum jemand ein freier Künstler wird.
Wer darf satirisch sein? Die Narrenfreiheit hilft dazu wenig. Will der Satiriker glaubhaft etwas sagen, so muß er seIbst daran glauben, sonst entsteht Langeweile; denn das Publikum ist hungrig nach Sensationen. Satire ist also ein Opfer.
Xaver Mayer verwandelt sich in seinen Grafiken und ist deshalb so glaubhaft, da er viele seiner skurrilen Wesen im Innersten gewesen ist, mit aller Angst, aller Einsamkeit, aller Freude und der unumstößlichen Liebe zum Menschen. Im Mittelpunkt steht immer die Anteilnahme des Ichs an der Zeit. Alle Darstellung wird zur Paralyse.
Nun wissen wir, daß Egozentriker, die sich der Zeit opfern, Satire hervorbringen, allerdings ist dieser Zustand lebenslänglich und rücksichtslos.
Die Glaubwürdigkeit der Satire hängt auch von der Naturtreue ab, mit der der Künstler seine Erfahrungen und Gefühle umsetzt. Xaver Mayer schuf ein ganzes Figurenkabinett von Wesen, die liebenswert, mit sich selbst zwar kämpfend, doch - gleich in welcher Lage - mit sich zufrieden sind. Es gelingt ihm uns Anteilnahme abzufordern. Alle Personen dieser Bilderwelt sind schicksalsgeschlagene Irrläufer unserer Zeit. Das nun beruhigt uns.
Nun wissen wir, daß Satiriker in einer Welt von Verrückten leben und darauf hoffen, daß alle mit ihnen um diese Welt Angst haben.
Jeder richtig freie Künstler muß sein Handwerk verstehen, wenn er auf Dauer Ergebnisse hervorbringen will, die man Kunst nennt. Der Satiriker ist unter den Künstlern der Akrobat. Seine ganze Kunst muß so erstaunlich und sensationell sein wie eine Varieténummer.
Ob Mayers Farbradierungen aus einer, zwei oder drei Platten gedruckt sind, ist schwer auszumachen. Wie ein Zauberer geht er mit den Farbtönen Blau und Orange um. Die Aquatintaflächen mischen die Farben, die Zeichnung spielt darüber, und sogar Kratzer auf der Platte werden eingebunden, als gehörten sie dazu.
Als Grafiker jongliert Xaver Mayer mit mehreren Bällen, ohne daß man genau weiß wie. Bei der Satire lauert die Kunst im Hinterhalt, sie gaukelt uns Unglaubliches vor, um den Nervenkitzel zu erhöhen.
Nun wissen wir, daß Xaver Mayer ein Gaukler ist, dem wir gerne zusehen, weil auch wir kitzelig sind."
Heiko Jörn, Leer
Noch eine launige, kurze Rede von Gustav-Adolf Bähr, Mußbach
"Wer ist Xaver Mayer?
Humorist, Kabarettist, Narr, Komiker, Kritiker, Karikaturist, Gaukler, Spötter?
Diese Frage müssen wir uns angesichts der Ausstellung stellen.
Im Lateinischen gibt es das Wort "Satira". Es bedeutet: eine mit verschiedenen Früchten gefüllte Schüssel. Er, Xaver Mayer, ist auch so etwas Ähnliches - ein mit verschiedenen Darstellungsarten reich gefüllter Künstler, der durch Spott, Ironie und Übertreibung Personen, Ereignisse und Zustände mit Lachen illustriert.
Ist er ein Eugen Roth der Karikatur? "Was bringt den Doktor um sein Brot? a) die Gesundheit b) der Tod. Drum hält er uns, auf dass er lebe, so zwischen beidem in der Schwebe."
Ist er ein weiser Sokrates der Selbstironie? "Ich weiß, dass ich nichts weiß."
Ist er ein herzensguter Wilhelm Busch mit kritischem Auge? "Die erste alte Tante sprach: Wir müssen nun auch dran denken, was wir zu ihrem Namenstag dem guten Sophiechen schenken. Drauf sprach die zweite Tante kühn: Ich schlage vor, wir entscheiden uns für ein Kleid in erbesengrün. Das kann Sophiechen nicht leiden! Der dritten Tante war das recht. Ja, sprach sie, mit gelben Ranken. Ich weiß, sie ärgert sich nicht schlecht und muss sich auch noch bedanken."
Ist Xaver Mayer gar ein Kabarettist wie Dieter Hildebrandt? "Den kenn ich doch, wer war das?" oder "Vater, vergib ihnen nicht, denn sie wissen, was sie nicht tun."
Könnte er sich gar auch mit Abraham a sancta Clara, dem Hofprediger zu Wien, messen? "Eigenlob stinkt - nach Knoblauch." "Nichts ist für die Gesundheit schädlicher, als auf sie zu trinken, Prost!" "Der Schein trügt - die Wahrheit siegt!" "Auch der schönste Apfel fault - von innen." "Schweigen ist eine Kunst - der Wein allein zerstört sie."
Zeichnet er? Illustriert er? Macht er Sprüche? Spielt er mit Wortwitzen? "Weil wir gar nichts wissen, reden wir überall mit." "Der Teufel steckt im Detail - wo steckt der liebe Gott?" "Lieber ein stadtbekannter Säufer, als ein anonymer Alkoholiker." "Wenn einer hinterher der Dumme ist, war er es vorher auch schon."
Ich begrüße jedenfalls den mit vielen verschiedenen spitzen Federn, farbigen Stiften und ätzenden Platten arbeitenden Meister der Illustration und Zeichnung, Xaver Mayer, sehr herzlich...."
(Eröffnungsrede von Gustav-Adolf Bähr im Herrenhof Mußbach, Februar 2010)